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Anke Haarmann: Zur Einführung der Tagung am 20. September 2008

Shanghai (Urban Public) Space – die Ausstellung ebenso wie die Tagung – beschäftigen sich mit den Stadtentwicklungsprozessen in Shanghai bzw. China und deren sozio-politischen Auswirkungen. Aber diese Ausstellung findet nicht in Shanghai, sondern in Hamburg statt und Hamburg setzt sich euphorisch zu Shanghai – seiner Partnerstadt – in Beziehung.

Denn Stadtentwicklung ist auch für Hamburg ein wichtiges Thema und unter dem Leitmotto „wachsende Stadt“ entwirft sich auch Hamburg dynamisch in die Zukunft. Paradigmatisches Beispiel für dieses Szenario der wachsenden Stadt ist sicherlich die so genannte HafenCity, auf deren Areal sich der Ausstellungsraum von Shanghai (Urban Public) Space auch nicht zufällig befindet. Das jetzt so genannte Land's End ist ein ehemaliger Lokschuppen der Deutschen Bahn und eventuell wird diese Halle mit ihrer Backsteinarchitektur den neuesten Entwicklungen der HafenCity weichen müssen, wie auch viele Gebäude in Shanghai, die ebenso aus Backsteinen gebaut sind, der rasanten Stadtentwicklung der asiatischen Metropole weichen.

Die HafenCity in Hamburg wurde in den 90iger Jahren unter dem damaligen Oberbürgermeister Henning Voscherau zunächst als Geheimplan projektiert und nach der dezenten Verlagerung der ansässigen Hafenbetriebe schließlich der Öffentlichkeit als Europas größtes Stadtentwicklungsprojekt vorgestellt. Im ca 155 Hektar großen ehemaligen Freihafengelände soll in den nächsten Jahrzehnten – so heißt es – „ein lebendiges Stadtviertel mit maritimen Ambiente“ entstehen. Ursprünglich war darüber hinaus geplant, mit dem Verkauf der Grundstücke in der HafenCity an zahlungskräftige Investoren den Bau des neuen Hafencontainerterminals in Altenwerder zu finanzieren. Die HafenCity ist also nicht nur ein Stadtentwicklungsprojekt, sondern auch ein ökonomisches Projekt, wobei letzteres schon gescheitert ist, denn die Finanzierung des neuen Containerhafens konnte nicht mit dem Grund und Boden der HafenCity abgesichert werden. Umgekehrt kostet die HafenCity durch aufwendige Flutsicherungsmaßnahmen Geld. Auch die stadtplanerische Seite der HafenCity hat schon eine bewegte Geschichte. Dort, wo beispielsweise jetzt die neue Philharmonie auf dem Kaispeicher A im Entstehen ist, war vor fünf Jahren noch ein Medienzentrum unter dem Namen MediaCityPort mit einer großen Investorengruppe im Hintergrund geplant. Der Einbruch der Medienbranche hat der Entwicklung der HafenCity ebenso zu einem veränderten Entwicklungstrend verholfen, wie die gescheiterte Olympiabewerbung Hamburgs. Große Teile der Olympiagebäude hätten sich in der HafenCity ausbreiten sollen.

Als ehemaliges Hafengelände und vermeintliches Brachland scheint aber die HafenCity eine Projektionsfläche für unterschiedliche stadtplanerische Visionen zu sein. Ob das Gelände in der Nähe der Innenstadt tatsächlich so rein und leer ist, lässt sich nicht zuletzt mit diesem Gebäude befragen, in dem die Ausstellungsplattform ihren Ort gefunden hat. Das Land's End verweist als ehemaliger Schuppen auf die Industrie-, Arbeiter- und Hafengeschichte des Areals.

Aber auf den ersten Blick scheint doch dieser Eindruck einer Brache den entscheidenden Unterschied zwischen den Wachstumsdynamiken der Hamburger HafenCity und der Stadtentwicklung Shanghais zu markieren. Hamburg wächst an einem Ort, der für die Hafenökonomie unattraktiv geworden ist.

Shanghai wächst im bewohnten und belebten Innersten. Vielleicht wuchert es auch, seitdem Deng Xiaoping 1992 die Stadt zum „Kopf des Drachens“ erklärte und damit zum wirtschaftlichen Motor für das ganze Land machte. In Atem beraubender Geschwindigkeit vermehren sich die Hochhauskomplexe, werden ganze Viertel abgerissen, die Bewohner in Quartiere an den Stadträndern umgesiedelt, Straßenschneisen mehrstöckig in die Stadtlandschaft gebaut oder neue Stadtviertel für die Entwicklung ausgerufen. Eigentumswohnungen in Shanghai Downtown kosten inzwischen mehr als in New York, während im Kiosk der halbe Liter Bier für umgerechnet 6 Cent zu haben ist.

Zu tausenden strömen Wanderarbeiter in die Stadt, deren heimliche Einwohnerzahl bei 20 Millionen zu liegen scheint, während offiziell von knapp 13 Millionen die Rede ist. Die Wanderarbeiter, die sich rechtlich nicht in Shanghai aufhalten dürfen, die keine Sozialversicherung haben und zu mehrt in winzigen Apartments hausen. Diese "Abwesenden" sind zugleich die Arbeitskräfte, welche die alten Quartiere abreißen, die neuen Hochhäuser aufbauen, im Callcenter am Telefon sitzen oder als Friseure oder Masseure einen kleinen Lohn verdienen. Sie sind ein wesentlicher Motor der chinesischen Wirtschaft.

Was bedeutet die Stadtentwicklung für diejenigen die sie aufbauen, was bedeutet es für die, welche aus ihren angestammten Viertel gehen müssen?

Shanghai ist aufgebaut wie ein Bienenstock – es besteht aus vielen Wohnvierteln, die wie Waben in sich geschlossen sind – die lilongs. Diese integrierten Wohn- und Arbeitseinheiten sind wie autonome Enklaven des Inneren, die sich gegen die äußeren Straßenlandschaften der Stadt durch Mauern abschotten. Im Inneren dieser Enklaven gibt es kleine Wege und Grünflächen, Wohnhäuser und Werkstätten, Kioske und Spielecken. Diese Nachbarschaften wirken wie die ambivalente Urform der gated communities: Abgeschottete Inseln im Großstädtischen, die durch kontrollierte Eingangstore die äußere Welt von sich fern halten. Fürsorge und Kontrolle, Organisation und nachbarschaftliche Nähe bilden die dialektischen Pole dieser Nachbarschafts-Gebilde.

Die europäischen Kategorien von Öffentlich und Privat machen angesichts dieser anderen Ordnung von Innen und Außen, städtischer Wildnis und nachbarschaftlicher Heimat keinen Sinn. Das Innere der Nachbarschaften, von Mauern umzäunt und von Vielen bewohnt, ist nicht Privat, ebenso, wie das Äußere der Straßen nicht öffentlich ist, sondern eher Unfreundlich.

Viele Chinesen und viele Shanghaier sind in diesen Nachbarschaften groß geworden und identifizieren sich mit diesem spezifischen Umfeld. Mehr noch: aus der Tradition der konfuzianischen Gesellschaftsordnung heraus, sind die Einzelnen in den Waben ihrer Umfelder wie Knotenpunkte in einem Netzwerk eingebunden. Ohne dieses Fadenwerk zu den Anderen, den Familienmitgliedern und Nachbarn, lösen sich die Knoten des Selbst tendenziell auf. Im konfuzianischen Verständnis ist das Individuum ein rollengebundenes und ein platziertes Ich. Insbesondere für die Älteren unter der Stadtbevölkerung verschwinden die familiären identitätsstiftenden Kontexte, wenn ganze Stadtviertel abgerissen werden, die Bewohner an unterschiedliche Vororte umgesiedelt werden und nur die Mauern noch wie ein Gerippe eine Weile stehen bleiben, bis Hochhauskomplexe mit neuen Apartments wachsen, die für die alten Bewohner unerschwinglich sind.

Für viele Chinesen und Shanghaier sind aber auch die Ort jenseits der Mauern – sind die Straßen der Stadt keine Plätze, um etwa Protest gegen diese Stadtentwicklungspolitik zu artikulieren. Im Inneren der Nachbarschaften ist Kommunikation im Rahmen der sozialen Strukturen denkbar. Außerhalb dieser Strukturen scheint kein Raum für Artikulation zu sein. Draußen ist die Straße, wo jedes Auto und jedes Mofa sein Recht des Stärkeren durchzusetzen gewillt ist. Die Idee der Öffentlichkeit als einer politischen Sphäre ist scheinbar in der chinesischen Stadtidee nicht territorialisiert oder sie wird nicht genutzt.

Es soll in der Shanghaier Innenstadt einmal eine Gruppe von Protestlern gegen die Umsiedlungsmaßnahmen gegeben haben, die sich regelmäßig informell auf den Straßenbänken vor einem großen Hotel zusammenfanden. Man hat dem Protest durch das Abbauen der Bänke seinen Ort genommen.

Die räumliche Struktur der städtischen Flächen territorialisiert gesellschaftliche Ordnungen und reguliert die erlaubten wie die unerlaubten Tätigkeiten der Bewohner. Der Horizont des denkbaren öffentlichen Verhaltens wird durch das Format der Straßen, die Möglichkeiten zum Aufenthalt, die Architektur der Macht und das Arrangement der Wohnorte mitbestimmt. Die Stadt ist sowohl Metapher, als auch Material des Gesellschaftlichen. Was bedeutet es dann, wenn die Bänke des Aufenthalts abgebaut werden, wenn die Straßen die Gegenden der feindlichen Wildnis darstellen und die inneren Enklaven abgerissen werden? Bilden sich neue Enklaven in den neuen Apartmentkomplexen? Ändern sich die Gewohnheiten der städtischen Civitas? Werden Orte angeeignet, die zum Aufenthalt eignen?

Es gibt auch die Parks und Grünanlagen in den asiatischen Metropolen. Sie sind nicht lilong oder danwei, nicht Arbeiten und Wohnen in den Grenzen einer Viertelmauer, aber auch nicht bloß Straße. Sie sind zwar Produkte westlicher Einflüsse und häufig durch den Abriss alter Wabenstrukturen entstanden, aber sie scheinen einen Raum des Gemeinsamen außerhalb der Nachbarschaften zu bilden. Keine Protestkultur spielt sich hier ab. An lauen Sonntagabenden finden sich Menschen im Halbdunkel der Parkbeleuchtung ein, laden den Ghettobluster auf die Sitzmauern der steinernen Flächen und beginnen – in Paaren – zu tanzen.

Schwer ist es also diese chinesische Gemengelage aus konfuzianischer Tradition, kapitalistischer Stadtentwicklungsdynamik, kommunistischer Bevölkerungspolitik und unerwartetem Eigensinn zu verstehen.

Es ist für Außenstehende ein bisschen wie das Diesige, das die Stadt Shanghai fast stetig umhüllt. Die Luft trägt schwer an Abgasen und Lösungsmitteln. Ein kontinuierliches Grau lässt die Konturen verschwinden.

Nie weiß man also, umnebelt von chinesischer Diesigkeit, ob man alles richtig verstanden hat oder ob der eigene europäische Wille zur Aufklärung einem nicht doch die Sinne für unerwartete Erkenntnisse und Reaktionsweisen vernebelt.

Um allerdings doch ein wenig Klarheit in das Diesige zu bringen, veranstalten wir diese Tagung und hoffen etwas von den Shanghaiern zu verstehen und der Stadtentwicklung, dem Öffentlichen und dem Privaten, den Migranten und den Umgesiedelten. Und wer weiß, vielleicht verstehen wir unerwarteter Weise dann auch etwas von der Hamburger Stadtentwicklung und den Dynamiken der HafenCity.

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